„Ich will einfach ich selbst sein.“ Das höre ich häufig im Coaching, wenn es um Führungsfragen geht. Dahinter steckt oft ein Wunsch nach Echtheit – aber auch Unsicherheit: Wie viel Persönlichkeit darf ich zeigen? Wie nah ist zu nah? Wie bleibe ich professionell – und trotzdem authentisch ICH?
Authentisch führen – das klingt einfach. Doch in der Realität ist es einer der anspruchsvollsten Balanceakte in der Führungsrolle.
Was Authentizität (nicht) ist
Viele Führungskräfte glauben, Authentizität bedeute, alles zu zeigen: die Zweifel, die schlechte Laune, die privaten Sorgen. Oder: „Ich sage halt, was ich denke.“ Doch das ist keine Authentizität – das ist oft ein Mangel an Reflexion. Echtheit braucht Bewusstheit. Authentisch zu führen bedeutet nicht, sich ungefiltert zu entäußern. Es bedeutet, mit sich verbunden zu sein – und aus dieser Verbindung heraus wirksam zu kommunizieren.
Was ist der Grund, dass es schwerfällt, sich zu zeigen?
Viele meiner Klient:innen haben gelernt:
Gefühle sind privat. Verletzlichkeit zeigt man nicht. Gefühle gehören nicht zu einer professionellen Arbeit, da es doch um die Sache geht.
Gerade in Führungsrollen schafft Distanz Sicherheit.
Doch hinter dieser Haltung steckt vielleicht auch Angst:
- davor, angreifbar zu sein
- davor, Kontrolle zu verlieren
- davor, nicht ernst genommen zu werden
Sich zu öffnen bedeutet eben auch, sich zu zeigen – mit dem Risiko, gesehen zu werden. Und das ist für viele ungewohnt und im Unternehmenskontext auch nicht immer in der Kultur verankert. Auch wenn die Werte auf dem „Poster“ dieses vorgeben.
Was im Coaching hilft: Klarheit vor Offenheit?
Der erste Schritt ist nicht, mehr von sich zu zeigen.
Der erste Schritt ist: Sich selbst zu kennen.
Wer bin ich – jenseits meiner Rolle? Was will ich wirklich bewirken? Welche Werte treiben mich?
Erst wenn diese Fragen klarer werden, kann entschieden werden: Was davon möchte ich nach außen bringen?
Authentisch zu sein bedeutet nicht, alles zu teilen – sondern stimmig zu handeln.
Vom Gefallenwollen zur klaren Präsenz – ein persönliches Beispiel
Lange Zeit wollte ich als Führungsperson es allen recht machen: Meinem Team. Meiner Führungskraft. Meinem Umfeld. Ich habe versucht, jede Rolle perfekt zu spielen – ohne meinen persönlichen Anspruch zu prüfen, ohne Widerstand und Veto, ohne einen Abgleich der persönlichen und unternehmerischen Werte. Einfach so sein, wie die anderen mich haben wollten. Das hat mich ausgelaugt. Weil ich dabei den Kontakt zu mir selbst verloren habe.
Heute lebe ich meine Rollen bewusst: als Trainerin, als Coach, als Mensch. Ich bin in allen Kontexten ziemlich gleich und ich – und das fühlt sich verdammt gut an. Und ja ich habe auch manchmal Intrarollenkonflikte, da ich als Coach ggf. etwas sehe und es nicht veröffentliche, da es nicht zum Anliegen passt. Doch das ist für mich ok und ist authentisch. Nicht alles was ich denke oder fühle gehört mit allen geteilt. Sondern es kommt natürlich wieder auf die Situation, das Thema und mein Gegenüber an.
Was authentisch führen bewirkt?
Wenn Sie als Führungskraft in sich ruhen, entsteht etwas Erstaunliches: eine Form von menschlichem Respekt. Nicht aufgesetzt, sondern echt. Und aus diesem Respekt wächst Vertrauen – denn die Ausstrahlung bringt Sicherheit mit sich. Eine Ressource, die leistungsfähiger macht als jedes Tool. Denn Menschen folgen nicht Funktionen. Sie folgen Menschen.
Reflexionsfragen zur eigenen Führungsidentität
• Was bedeutet es für mich, ich selbst zu sein – in der Führungsrolle?
• Wo bin ich gerade eher Rolle als Person – und warum?
• Was würde sich verändern, wenn ich mir erlaube, stimmiger zu führen?
Zum Weiterdenken
Authentisch führen ist keine Technik. Es ist eine Haltung. Eine Haltung, die nicht laut ist – aber klar. Nicht perfekt – aber präsent. Stehen Sie zu sich. Und erkennen Sie an, was Sie mitbringen. Werden Sie sich dessen bewusst. Und nutzen Sie es. Aus Klarheit. Aus Kontakt. Aus Haltung.