Ich möchte Ihnen heute das Konzept und die Idee der „Liberating Structures“ vorstellen. Ich selbst bin darüber in einem Gepräch mit einer Kollegin gestolpert und war direkt angetan von den Methoden, die Daniel Steinhöfer in seinem Buch „Liberating Structures – Entscheidungsfindung revolutionieren“ erklärt und beschreibt.
Die „Liberating Structures“ sind eigentlich für die Entscheidungsfindung in Unternehmen gedacht. Wieso ich Ihnen davon erzählen möchte? Eine Entscheidung zu treffen läuft bei uns allen, egal ob in Unternehmen oder im Privatleben, ähnlich ab. Oft sind nur eine Handvoll Personen sind an dem Prozess beteiligt und fällen Entscheidungen. Doch oft gibt es viele weitere Personen, die von der Wahl betroffen sind, aber nicht gehört werden.
Wie treffen Unternehmen Entscheidungen?
Grob verallgemeinert gibt es folgende Phasen einer Entscheidungsfindung: Das Problem wird entdeckt und formuliert, Informationen werden gesammelt, Lösungen werden entwickelt und gesammelt, dann werden sie miteinander verglichen, um schließlich eine Entscheidung zu treffen. Je nach Anliegen kann sich dieser Prozess in die Länge ziehen und anstrengend sein. Deshalb suchen besonders Unternehmen nach dem effizientesten Weg, denn zu aufwendige Prozesse benötigen Personal, Zeit und Geld. Darum werden nicht alle Betroffenen bezüglich der Entscheidung miteinbezogen, sondern nur die „wirklich“ benötigten Personen, beispielsweise das Management, die Teamleiter oder die Projektleitung. Denn es soll schnell ein Erfolg gesehen werden, was bedeutet, es wird sich auf das festgelegte Ziel fokussiert und nach Hierarchien vorgegangen. Oft passiert es dazu noch, dass dann externe Experten zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, die von außen die Lösung erarbeiten. Um die Lösung den Mitarbeitenden näher zu bringen werden zeitintensive und teure Trainings und Weiterbildungen durchgeführt. Dadurch, dass die Entscheidung nur von wenigen getroffen werden und nicht das Knowhow der Belegschaft eingebunden wird, kann es bei der zu Frustration und Resignation führen. Mitarbeitende fühlen sich ausgeschlossen und fangen an, nur noch das Nötigste in ihre Arbeit zu stecken.
Doch wieso die Betroffenen erst nach der Entscheidung einbeziehen und sie mit den Konsequenzen zurücklassen?
Deshalb wurden die „Liberating Structures“ entwickelt
Henri Lipmanowicz und Keith McCandless haben die Idee der „Liberating Structures“ entwickelt. Ihnen war es wichtig, dass wirklich alle von der Entscheidung Betroffenen an dem Prozess beteiligt werden. Ich weiß, im ersten Moment klingt das unmöglich und viel zu zeitaufwendig, aber es ist durchaus machbar und hat seine Vorteile. Das ist es, was „Liberating Structures“ ermöglichen: Alle Beteiligten treffen gemeinsam eine Entscheidung. „Liberating Structures“ sind einzelne Methoden, die beliebig zusammengesetzt werden können. Bis jetzt gehören 33 Methoden in ihr Repertoire. Die Methoden choreographieren das Miteinander der Gruppe, indem jede Methode zeitlich vorgibt, wer sich mit wem über was austauscht. Das Ziel ist es, dass jeder von Anfang an in allen Phasen gleichberechtigt beitragen kann. Aber Vorsicht, wir reden von beteiligen, nicht von teilnehmen. Eine Teilnahme findet auch durch „physisch anwesend sein“ statt und nur weil Teilnehmende mal die Möglichkeit haben etwas zu sagen, sind sie nicht gleich beteiligt.
Die Methode „1-2-4-All“
Um das an einer der 33 Methoden einmal zu verdeutlichen: Die „Liberating Structure“ mit dem Namen „1-2-4-All“ ist in 4 Schritte gegliedert. In Schritt 1 haben alle Beteiligten 1 Minute Zeit für sich, über die gestellte Frage nachzudenken. Die Beteiligten sammeln für sich Ideen und können sich über ihre Gedanken klar werden. Schritt 2 sieht vor, dass sich Paare bilden und diese 2 Minuten lang über ihre Ideen und Gedanken austauschen können. Danach werden in Schritt 3 4er Gruppen gebildet. Die Gruppen können in 4 Minuten ihre Ideen vergleichen und gemeinsam weiterentwickeln. Der letzte Schritt – Schritt 4 – sieht vor, dass alle 4er Gruppen ihre beste Idee mit der Gruppe teilen. Wurde eine Idee schon genannt, nimmt die Gruppe ihre zweitbeste Idee. Es soll darauf geachtet werden, dass sich keine Ideen doppeln. Dafür sind 5 Minuten vorgesehen.
Durch die gleichzeitig stattfindenden Gespräche in Schritt 2 und 3 hat jeder die Möglichkeit, etwas zu sagen und die Zeit wird optimal ausgenutzt. Schritt 1 hat den Vorteil, dass jeder Zeit hat sich allein über die eigenen Gedanken und und Meinungen klar zu werden und sich Ideen zu überlegen.
Vorteile der „Liberating Structures“
Da alle Betroffenen mit einbezogen werden, wird das gesamte Potenzial und Wissen der Gruppe verwendet. So werden passende und langanhaltende Lösungen gefunden, die für die Belegschaft zu tragen sind. Durch das Involvieren aller in die Entscheidungsfindung wird die Trennung zwischen den Personen, die entscheiden, und denen, die es umsetzen müssen, aufgehoben. Jeder hat die Möglichkeit, Ideen einzubringen, andere Ideen zu hören, hat die Zeit über diese nachzudenken und es wird gemeinsam eine Entscheidung getroffen. Dadurch kommen keine Widerstände auf: Durch das Einbeziehen jeder Person sind die Beteiligten bereit, die Entscheidung mitzutragen und umzusetzen, weil sie sich gehört und gesehen fühlen. Das gemeinsame Entscheiden machen Schulungen für die Lösung überflüssig, weil alle die Zusammenhänge kennen und auf die Umsetzung vorbereitet sind. Der Einsatz der „Liberating Structures“ bewirkt, dass durch die Vorgabe von Zeit, Sinn und Zweck effizient und fokussiert gearbeitet wird. Gemeinsam werden die Ideen entwickelt, bewertet und verfeinert. In dem Prozess hört jeder aktiv zu und es wird die Möglichkeit gegeben, Gedanken auszusprechen und zu sortieren. Das trägt dazu bei, dass sich die Beziehung der Beteiligten beruflich sowie sozial stärken und verfestigen. Ein weiterer Vorteil der unterschiedlichen Methoden ist, dass Personen, die nicht gerne vor Gruppen sprechen, dem nicht ausgesetzt werden und sich trauen ihre Gedanken mitzuteilen. Auch wird ermöglicht, dass jeder die Chance hat, sich erst seine eigene Meinung über ein Thema zu bilden und nicht sofort von anderen Meinungen beeinflusst wird.
Vielleicht konnte ich Ihnen mit dieser Buchempfehlung eine Anregung geben – probieren Sie es doch einmal im nächsten Meeting aus. Auch können Sie gern Kontakt mit mir aufnehmen, wenn Sie Unterstützung in Entscheidungsprozessen suchen. Vielleicht gibt es weitere Themen, über die ich schreibe und Sie interessieren? Dann melden Sie sich einfach für meinen Newsletter unten an.
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